Ein historisches Halbjahr liegt hinter uns. Es wird immer davon gesprochen, dass im Rahmen einer guten Asset Allokation Anleihen unverzichtbar sind, da diese per se als sicher und defensiv gelten. Gerade diese Anlageklasse hat aber in 2022 einen enormen Wertverlust erlitten. Schuld daran sind die erwarteten, massiven Zinserhöhungen der Notenbanken, in der Absicht die hohen Inflationsraten einzudämmen. Auch die Aktienmärkte konnten sich bislang dem negativen Umfeld nicht entziehen und haben Ihre Abwärtsbewegung im Mai und Juni fortgesetzt. Einige von Ihnen fragen sich bereits ob der Aktienmarkt nun günstig bewertet ist und ein Einstieg lohnt. Andere hegen hingegen weiterhin große Zweifel und befürchten, dass es noch eine Weile abwärts gehen könnte. In der Tat ist die Gemengelage alles andere als einfach. Wir wollen einige Punkte der aktuellen Entwicklung etwas genauer betrachten.
Die größte Volkswirtschaft ist nach wie vor die USA, mit einem Bruttoinlandsprodukt 2021 von 22.997,5 Mrd. USD (nur zum Vergleich: Russland hat ein BIP von 1.775,5 Mrd. USD). Was also bewegt den amerikanischen Markt? Die klare Antwort lautet: Zinsen und Inflation. Das gilt auch für Europa. Dabei spielt der Krieg in der Ukraine ebenfalls eine große Rolle, gerade in Bezug auf die enorm gestiegenen Energiekosten. Die Inflationsrate betrug im Mai in den USA 8,6%, in Deutschland im Mai 7,9%, im Juni 6,7%, das sind ebenfalls historische Werte. Derzeit sehen sich die Notenbanken in einem Dilemma. Einerseits müssen sie die Zinsen massiv erhöhen, was vor allem die US-Notenbank gerade zum dritten Mal getan hat, zuletzt sogar um 0,75% auf nunmehr 1,5–1,75%. Gleichzeitig wollen sie die Konjunktur möglichst nicht abwürgen. Die hohe Inflation in Europa und den USA sorgt weiter für einen deutlich negativen Realzins. Die EZB hat ebenfalls angekündigt im Juli die Leitzinsen erstmalig seit 10 Jahren zu erhöhen, was vielen Marktteilnehmern jedoch zu langsam erscheint. Was bedeutet das für die Zinsen unserer Bankeinlagen? Weiter gibt es kein hoch verzinstes Festgeld, aber bereits jetzt reduzieren einige Banken ihren Negativzins, bzw. das Verwahrentgelt.
Das erste Quartal 2023 war geprägt von grundsätzlich positiven konjunkturellen Entwicklungen in der Weltwirtschaft. Aktienmärkte waren bis Mitte März insgesamt freundlich, wobei Inflation und Zinsen weiter die beherrschenden Themen an den Börsen waren. Aber da gab es noch viel mehr, was die Märkte bewegte. Im Januar konnte man am Aktienmarkt schon fast von Euphorie sprechen, da in China die 180° Kehrtwende in der Covid-Politik vollzogen wurde. Für die Wirtschaft war das ein wichtiger Beitrag, um die Lieferkettenprobleme zu reduzieren. Mit einem offenen China im Rücken sollte die Weltwirtschaft neu durchstarten und Dax und S&P 500 legten auch gleich um fast 10 % zu. Da war die Hoffnung, dass die Zinsen nicht weiter steigen, sondern bald wieder gesenkt werden. Doch die Ernüchterung kam schnell. Von den Höchstwerten im November (8,8 %) ist die Inflationsrate in Deutschland im März auf 7,4 % zurückgegangen, aber viele Wirtschaftsinstitute und Volkswirte gehen davon aus, dass sie erstmal hoch bleiben wird. Daher haben sowohl die EZB (aktuell 3,5 %) als auch die FED (aktuell 4,75 – 5 %) den Leitzins in diesem Jahr schon zweimal erhöht. Gleichzeitig Finanz- und Preisstabilität zu gewährleisten ist keine einfache geldpolitische Aufgabe. Die Zinserhöhungen haben zu bemerkenswerten Renditen bei den Anleihen geführt. So rentiert eine 10- jährige Bundesanleihe aktuell mit ca. 2,3 %, eine 1-jährige mit 2,7 % – eine inverse Zinsstruktur, die manche beunruhigt. Am Markt gilt nun der Blick wieder verstärkt auf die bevorstehenden Quartalszahlen der Unternehmen und noch genauer auf den Ausblick und die Gewinnerwartungen. Erfahrungsgemäß kommen die Auswirkungen der höheren Zinsen erst mit einiger Verzögerung in der Realwirtschaft an. Viele Analysen von Wirtschaftsinstituten und Ökonomen gehen weiter von einer sehr milden Rezession in den Industrieländern aus. Als Argument werden häufig der sehr robuste Arbeitsmarkt und volle Auftragsbücher in weiten Teilen der Industrie genannt. Die höheren Zinsen haben auch auf dem Immobilienmarkt deutliche Spuren hinterlassen. So ist die Nachfrage nach Einfamilienhäusern drastisch zurückgegangen, das Angebot wächst und die Preise beginnen vielerorts zu sinken. Dazu kommt, dass Banken und andere Finanzierer restriktiver bei der Kreditvergabe vorgehen. Anschlussfinanzierungen werden für viele ebenfalls deutlich teurer. Das gilt sowohl für private wie auch für institutionelle Kunden (große Wohnungsunternehmen oder Immobilienfonds). Geopolitische Risiken hängen weiter wie ein Damoklesschwert über den Märkten, wobei der Krieg in der Ukraine, die Spannungen um Taiwan und das Verhältnis der USA zu China im Mittelpunkt stehen. Viele Unternehmen reagieren darauf mit einer weiteren Diversifizierung der Lieferketten, vorrangig in politisch und wirtschaftlich stabilen Staaten. Trotz großer medialer Aufmerksamkeit waren die Auswirkungen auf die Kapitalmärkte im ersten Quartal diesen Jahres nur sehr gering. Der Goldpreis (als Krisen- und Inflationswährung) konnte sich auf Basis des USD aktuell wieder fast an sein Allzeithoch vom August 2020 (2.075 $/Unze) herantasten.
Wie hat der Aktienmarkt bisher reagiert? Der breite S&P 500 hat seit Jahresbeginn ca. 22% verloren, der technologielastige Nasdaq 100 ca. 35%, der DAX und Dow Jones etwa 19%. Zum Vergleich: Im Februar/März 2020 fiel beim Corona-Einbruch der DAX um 35%. Deutsche und europäische Staatsanleihen fielen seit dem Jahresbeginn um ca. 10% im Kurs.
Es ist zu erwarten, dass sich auch im Immobilienmarkt deutliche Änderungen zeigen werden. Der Zinssatz für Baufinanzierungen mit 10-jähriger Zinsbindung hat sich auf Jahressicht mehr als verdreifacht und liegt nun bei etwa 3,2%. Das Bauen wird teurer, die Kredite dafür auch, viele erwarten daher eine Entspannung bei den Immobilienpreisen. Wie auch in der Vergangenheit sollte das allerdings regional sehr unterschiedlich verlaufen. Und was macht der Goldpreis bei der hohen Inflation? Er hat heute fast den gleichen Stand wie zu Beginn des Jahres ca. 1.835 USD. Im Gegenzug hat der Kurs des Bitcoins, eine von einigen erhoffte Alternative in Zeiten der Inflation, seit Jahresanfang etwa die Hälfte verloren.
China ist, mit großem Abstand zum Dritten Japan, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Das Land hat mit der strengen Null-Covid-Politik die globalen Lieferketten fest im Griff, das wiederum hat unmittelbare Auswirkung auf die nationale und auch globale Wirtschaft. Am Markt geht man allerdings davon aus, dass sich bis zum Jahresende die Problematik der Neuorganisation der Lieferketten deutlich entschärfen wird. In Bezug auf die Depotallokation sollte gerade in unsicheren Zeiten jeder Anleger gemeinsam mit seinem Berater, seine Anlagestrategie überprüfen. Gibt es hier keine grundsätzlichen neuen Parameter zu berücksichtigen, besteht auch kein Anlass zu hektischen Aktionen im Depot. Wir gehen davon aus, dass die Kurse auch in den nächsten Monaten stark schwanken werden. Dabei können sich auch immer Chancen ergeben. Der Anlagehorizont sollte bei den Investitionen immer im Blick behalten werden.
Bild: pixabay/Markus Spiske (https://pixabay.com/de/photos/chart-aktien-dax-dow-jones-594212/